Berufsbild Notfallsanitäter: Was wurde erreicht?

Eigentlich klingt es toll: Am 1. Januar 2014 tritt das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) in Kraft. Es entwickelt sich ein Profil, das Notfallsanitäter mit umfangreichen Kompetenzen ausstattet und das Berufsbild aufwertet, parallel wird auch die Entlohnung deutlich verbessert. Alles in allem ein großer Meilenstein – oder? Zehn Jahre nach der Novellierung des Rettungsdienst-Gesetzes ist die Resonanz in der Rettungswelt eher verhalten.

Auch beim DRK Rettungsdienst Mittelhessen (RDMH) ist das so; hier  hatte man mit großem Engagement die Einführung des neuen Berufsbildes vorangetrieben. In die Freude, wie gut das Unternehmen und sein Bildungszentrum diesen Kraftakt gemeistert haben, mischt sich auch Resignation. Denn die Realität im Gesundheitswesen lässt es nicht zu, dass Notfallsanitäterinnen und –sanitäter (NFS) mit ihren Kompetenzen voll zum Zug kommen.
Im Bildungszentrum des RDMH standen 2014 die Räder nicht still. Alle Weichen wurden auf „Notfallsanitäter“ gestellt, um das neue Berufsbild schnellstmöglich einzuführen. Nach kurzer Vorbereitungszeit startete bereits im Sommer 2014 der erste Ausbildungskurs. „Wir gehörten zu den ersten in Hessen“, erinnert sich Schulleiter André Gerke. „Der Run auf unsere 22 Kursplätze war enorm. Wir hatten über 500 Bewerbungen aus ganz Deutschland.“ Parallel dazu liefen die Ergänzungsfortbildungen für die Mitarbeitenden an. Sie konnten bis 2021 erfolgreich abgeschlossen werden. Über 180 Rettungsassistentinnen und –assistenten des RDMH bestanden die Prüfung zum Notfallsanitäter; hinzu kamen knapp 100 externe Kursteilnehmende, die im Bildungszentrum ihre Prüfung ablegten.


Inzwischen – mehr als zehn Jahre später – verläuft die Notfallsanitäterausbildung längst in vertrauten Bahnen. Mehr als 180 Azubis des RDMH und knapp 80 Teilnehmende anderer Rettungsdienste  haben seitdem am DRK Bildungszentrum die Prüfung zum Notfallsanitäter abgelegt und in ihrem neuen Beruf die Arbeit aufgenommen. Doch längst nicht alle sind geblieben. Geschäftsführer Markus Müller weiß: „Gerade die jüngeren, gut ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen orientieren sich oft schon nach wenigen Jahren um. Viele von ihnen erleben einen Arbeitsalltag, der nicht ihrem Profil und ihren Erwartungen entspricht.“ Kein Wunder: Die meisten Einsätze sind keine Notfälle, in denen umfassende notfallmedizinische Kenntnisse gefragt sind, sondern eher Low-Code-Einsätze, die in den meisten Fällen nicht in den Rettungsdienst gehören.

Bei der viel geringeren Zahl der „echten“ Notfälle ist das anders. Für Dr. Dennis Humburg, ärztlicher Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) des Vogelsbergkreises und Notarzt beim RDMH, leisten Notfallsanitäterinnen und –sanitäter einen wichtigen Beitrag zur verbesserten präklinischen Versorgung. „Man muss klar betonen, dass die Durchführung von invasiven, erweiterten Maßnahmen durch NFS heute nicht mehr nur eine Option ist, sondern ein klarer Auftrag. Das Eintreffen eines Notarztes oder einer Notärztin, bevor unsere Patienten etwa schmerzstillende, starkes Erbrechende bekämpfende oder lebensrettende Medikation erhalten, muss und kann heute nicht mehr abgewartet werden“, so Humburg.
Was kann man tun, damit Notfallsanitäterinnen und –sanitäter deutlich mehr ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt werden? Nur dann würde sich schließlich die Investition in die hochwertige, dreijährige Ausbildung rechnen, und nur so könnte man dem Fachkräftemangel wirkungsvoll begegnen. Denn nur dann hätten die Notfallsanitäter von heute auch morgen noch Lust, in ihrem Beruf zu arbeiten.

„Wir als Rettungsorganisation haben nicht die Möglichkeit für wirklich maßgebliche Veränderungen“, unterstreicht Markus Müller, Geschäftsführer des RDMH. „Wir arbeiten seit Jahren mit Konsequenz an möglichst guten Bedingungen im Einsatzdienst und haben auch Hand in Hand mit den beauftragenden Landkreisen viele Verbesserungen umgesetzt. Trotzdem bleiben viele Nachwuchskräfte nicht auf Dauer bei uns. Das liegt am System als Ganzes.“
In einem aktuellen Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Gesundheit wird eine weitere Steigerung der Kompetenzen durch ein Studium für zukünftige Retterinnen und Retter angesprochen. Was auf den ersten Blick attraktiv erscheint, wird derzeit mit Recht kontrovers diskutiert. Auch Dr. Dennis Humburg sieht diesen Vorschlag kritisch: „Natürlich kann man die bestehende Ausbildung akademisieren, so wie es gerade bei den Hebammen umgesetzt wird.  Ob sich dadurch an den Kompetenzen oder Arbeitsbedingungen irgendetwas ändern würde, bezweifle ich.“

Beim RDMH hält man eine wirkliche Verbesserung nur dann für möglich, wenn das Gesundheitssystem als Ganzes auf den Prüfstand gestellt wird. Markus Müller bekräftigt „Eine bessere Lenkung der Patientenströme und die gezielte Ertüchtigung ambulanter Versorgungsbereiche sind unabdingbar. Es wird erst dann eine stabile Situation in der präklinischen Notfallmedizin geben können, wenn der Rettungsdienst nicht mehr das „Auffangbecken“ für Patienten ist, die eigentlich woanders versorgt werden müssten.“

 

Foto: Ronald Henning

Am Bildungszentrum des DRK Rettungsdienst Mittelhessen startete im August 2014 die erste Notfallsanitäter-Ausbildung. Foto: Ronald Henning