Gemeinsames Projekt zum CCSV-Beatmungsmodus

Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand muss schnellstmöglich, idealerweise bereits durch Laien, mit einer Reanimation gestartet werden. Das Ziel ist, einen Minimalkreislauf wiederherzustellen und die Sauerstoffversorgung vor allem von Gehirn und Herz aufrechterhalten zu können. Bei der Wiederbelebung sind Herzdruckmassage und Beatmung notwendig, die in einem fixen Verhältnis zueinander durchgeführt werden.

In Deutschland erleiden jährlich ca. 96.000 Menschen einen plötzlichen Kreislaufstillstand, ungefähr die Hälfte davon wird durch den Rettungsdienst, eine Notärztin oder einen Notarzt reanimiert. Weniger als ein Viertel aller betroffenen Personen  erreicht ein Krankenhaus, und nur ca. 10% aller Wiederbelebten können lebend aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Der Landkreis Marburg-Biedenkopf ist seit vielen Jahren bemüht, die Zahl der erfolgreich wiederbelebten Patientinnen und Patienten zu steigern. Dabei sind sowohl die intensive Schulung von Laien wie auch die Ausbildung von Ersthelfern wichtige Elemente, denn nur durch deren Mithilfe wird eine erfolgreiche „Überlebenskette“ gestartet. Die Rettungsdienstmitarbeitenden sowie Notärztinnen und Notärzte befinden sich in einer kontinuierlichen Schulung von Reanimationsmaßnahmen mit dem Ziel, jeden noch so kleinen Faktor zu optimieren. Dabei ist es auch wichtig, die Daten der im Landkreis erfolgten Wiederbelebungsergebnisse anonymisiert in ein bundesweites Register (Deutsches Reanimationsregister) einzutragen, um so einen Vergleich mit anderen Regionen Deutschlands zu ermöglichen und ausreichende Daten für wissenschaftliche Auswertungen zu generieren.

Erfreulicherweise schlagen sich die intensiven Bemühungen im Landkreis auch in Zahlen nieder. Während im Jahr 2020 bundesweit 8,3 Menschen/100.000 Einwohner und Jahr lebend aus dem Krankenhaus entlassen wurden, waren es in Marburg 19,1/100.000 Einwohner und Jahr. Auch wenn diese Vergleichszahlen zunächst einmal positiv aussehen, gibt es weitere Hinweise zu möglichen Verbesserungen der Überlebenschance eines Menschen mit Herz-Kreislaufstillstand.

Derzeit ist noch nicht wissenschaftlich erwiesen ob, und wenn ja welche Form der Beatmung während der Reanimation eingesetzt werden soll, es gibt jedoch Anzeichen, dass ein speziell für die Wiederbelebung entwickelter Beatmungsmodus, genannt CCSV (Chest Compression Synchronized Ventilation), in dieser Hinsicht hilfreich sein kann. Der entscheidende, innovative Unterschied zur gängigen Beatmung unter Reanimation ist: Zu jeder Thoraxkompression wird synchron ein Beatmungshub abgegeben. Die Firma Weinmann Emergency hat diese Beatmungsform mittels der langjährigen Erfahrung im Bereich der Notfall- und Transportbeatmung sowie in Beteiligung an wissenschaftlichen Forschungsprojekten entwickelt und bietet diesen Beatmungsmodus neben anderen gängigen Modi auf dem Beatmungsgerät Medumat Standard² an. Durch die parallel zur Herzdruckmassage durchgeführte Beatmung wird die Lunge während der Thoraxkompression mit Luft gefüllt. Das Herz wird gleichzeitig stärker komprimiert, wodurch mehr Blut in den Kreislauf gepumpt wird. Studien belegen, dass so die Sauerstoffsättigung und die Abatmung von CO2 verbessert werden.

Der DRK Rettungsdienst Mittelhessen (RDMH) und das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM), Standort Marburg, haben ein gemeinsames Projekt gestartet, um CCSV in Präklinik und Klinik zu integrieren. In der Vergangenheit ist der Beatmungsmodus bei beiden Beteiligten bereits in kleinerem Umfang durch Mithilfe erfahrener Oberärztinnen und Oberärzte des Zentrums für Notfallmedizin zum Einsatz gekommen. Der RDMH hat zusätzliche Beatmungsgeräte mit der CCSV-Softwareoption beschafft. „Die Beatmungsgeräte werden während des Projektes ergänzend zu den vorhandenen Geräten auf den Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF) im Landkreis Marburg-Biedenkopf vorgehalten und bei Bedarf von den tätigen Notärztinnen und Notärzten verwendet. Diese und weitere Mitarbeitende des RDMH haben vorab eine Einweisung und Schulung in die neue Funktion des Gerätes erhalten. Im Zweifel kann aber immer auch auf die bekannten Beatmungsgeräte und Beatmungsformen zurückgegriffen werden. Für Patientinnen und Patienten entsteht mit dem zugelassenen neuen Beatmungsmodus sicher keinerlei Risiko“, erklärt Jan Orendt, Betriebsleiter des RDMH.

Der Landkreis Marburg-Biedenkopf und deren für die Qualität im Rettungsdienst beauftragte ärztliche Leitung sind über das Projekt informiert und haben ihre Zustimmung erteilt. Angelegt ist das Projekt, welches bereits im Mai 2021 begonnen hat, auf 24 Monate. Das Ziel ist dabei ganz klar: Es dient der Überprüfung, ob die neue Beatmungsform wie erwartet Vorteile gegenüber den konventionellen Beatmungsformen hat. Es wird erwartet, dass der Gasaustausch und die Kreislauffunktion unter der Reanimation verbessert werden können.

„Ich bin gespannt ob sich die im Rahmen von einzelnen Einsätzen gemachten positiven Erfahrungen mit dem neuen Beatmungsmodus in den kommenden 2 Jahren auch durch eine größere Anzahl von Ergebnissen bestätigen lässt. Es wäre schön, wenn es gelänge, eine weitere Steigerung der Überlebenszahlen nach Wiederbelebung zu sehen. Alle anderen Anstrengungen des Landkreises und der Kliniken dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden“, sagt Dr. med. Birgit Plöger, Oberärztin ZNA Klinikum Marburg und Notärztin.Der RDMH wird monatlich technische Daten an die Fa. Weinmann übermitteln, die im Rahmen der Wiederbelebung mit CCSV-Beatmung generiert werden. Rückschlüsse auf behandelte Personen sind nicht möglich. Durch die gute Zusammenarbeit mit den Notfallmedizinern des UKGM ist in diesem Projekt noch eine neue Perspektive möglich: Bisher haben für die CCSV-Beatmung nur Tests in der Präklinik stattgefunden. Durch die Beteiligung des UKGM, welches bereits an anderen Qualitätssicherungsprojekten im Rahmen der Reanimation beteiligt ist, werden nun auch Daten zum Langzeitüberleben der Patienten mit CCSV-Beatmung erhoben werden können. In der Zentralen Notaufnahmen des Klinikums wird zu diesem Zweck ein weiteres Beatmungsgerät mit CCSV-Beatmungsmöglichkeit vorgehalten, um auch hier bei kritischen Patienten die Beatmungsform anwenden zu können.
Sobald das Projekt abgeschlossen und die erhobenen Daten ausgewertet sind, wird entschieden, ob die CCSV-Beatmung auf allen Rettungsmitteln vorgehalten wird. Dafür ist keine komplette Neubeschaffung der Beatmungsgeräte notwendig. Die entsprechende Softwareoption kann bei Bedarf auf den Bestandsgeräten des RDMH nachgerüstet werden.

Foto: RDMH

Foto: RDMH

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