Geflüchteter wird Rettungssanitäter

2011 musste Ghaith Miryousef aus Syrien fliehen. Nach seinem Abitur drohte ihm der Einzug ins Militär – zudem gab es für ihn angesichts von Krieg und Zerstörung keine Perspektive in seinem Heimatland. Heute ist er Rettungssanitäter beim DRK Rettungsdienst Mittelhessen (RDMH) im Marburger Ostkreis – bis dahin war es ein langer und auch anstrengender Weg.

„Ich mag die Arbeit im Rettungsdienst. Ich kann Menschen helfen und bekomme Respekt dafür“, erklärt Ghaith. Der Respekt ist ihm besonders wichtig. Viele Menschen in Deutschland hatten ihm gegenüber Vorurteile, dachten, dass er sich Sozialleistungen erschleichen will, obwohl er auch in Syrien leben könnte. „Die Sprache zu lernen und eine Arbeit zu bekommen war mir deshalb sehr wichtig“, erklärt der 26-Jährige.

Seit 2015 ist Ghaith in Deutschland. Vorher hat er in Dubai gelebt und gearbeitet, bevor er mit seinem Ersparten die beschwerliche Reise nach Europa antrat. „Ich war zunächst in der Türkei und bin mit einem Schlauchboot bis nach Griechenland gekommen. Das war eine schlimme Erfahrung“, sagt Ghaith. Von Athen aus ging es dann über Rom nach Berlin und schließlich in verschiedene Erstaufnahmeeinrichtungen, darunter auch Marburg. Hier musste er sich ein neues Leben aufbauen. Dass er im Bereich Gesundheit arbeiten will, wusste Ghaith bereits. „Dort werden viele Leute gesucht. Ich wollte aber nicht immer am selben Ort sein, das wäre langweilig“. Dann entdeckte er einen Bericht, auf dem Leute vor einem Rettungswagen standen. Einer von ihnen war Gordon Schneider, Mitarbeiter der Stadt Kirchhain und damals der für Ghaith zuständige Sachbearbeiter. „Ich habe ihn gefragt, was das für ein Beruf ist und ob ich da arbeiten könnte“, so Gaith.  Schneider stellte den Kontakt zum RDMH her. Es  folgten ein erster Gesprächstermin und ein viertägiges Praktikum im Einsatzdienst. „Ich habe schnell gemerkt, dass mir das gefällt“, ergänzt Ghaith.

Sebastian Wöllenstein, Bereichsleiter in Marburg-Ost hat Ghaith während seines Praktikums begleitet und ist auch mit ihm gefahren. „Er hat viel Interesse gezeigt. Die Sprache war das größte Problem, das merken wir im Kollegenkreis auch heute noch manchmal. Prinzipiell funktioniert die Zusammenarbeit aber sehr gut, und Ghaith ist fit in den rettungsdienstlichen Maßnahmen.“

Um im Einsatzdienst  mitarbeiten zu können, musste Ghaith die viermonatige Qualifizierung zum Rettungssanitäter absolvieren und den C1-Führerschein machen. „Die praktische Prüfung war kein Problem, die habe ich gleich bestanden. Aber die mündlichen und schriftlichen Tests waren eine richtige Katastrophe. Die Fragen waren auf deutsch für mich sehr schwer zu beantworten, das habe ich unterschätzt“, meint Ghaith. Nachdem er durchgefallen war, überlegte er, die Qualifizierung abzubrechen. „Alle haben mich aber darin bestärkt, weiter zu machen“. Dank intensiver Vorbereitung und Unterstützung von Kollegen bestand Ghaith im Juli 2018 die Nachprüfung und den Führerschein. „Das war eine schlimme Woche für mich. Davon hing alles ab. Ich war sehr erleichtert, dass ich das geschafft habe.“

Personalleiterin Anne Leibfried hat Gaith aktiv begleitet. Sie zieht ein positives Fazit. „Dass Gaith jetzt Rettungssanitäter ist, ist für uns ein gelungenes Projekt der Integration. Es war aber auch herausfordernd und erforderte viel Engagement, Begleitung und Zeit. Natürlich vor allem von Ghaith selbst, aber auch von uns: Es galt einige bürokratische Hürden zu überwinden, zudem gab es Sprachbarrieren und Missverständnisse. So ein Projekt muss man wirklich wollen. Wir wollen und wir werden weiterhin solche Wege beschreiten.“